Demokratische Vorwahlen 2016: Déjà-vu?

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  • Demokratische Vorwahlen 2016: Déjà-vu?

    Wanli, 01.02.2016 00:31
    #1

    Grüner hatte geschrieben:

    Erinnerungen werden wach...

    Im Januar 2008 verlor Clinton überraschend gegen den damaligen "Nobody" Barack Obama.

    Wiederholt sich dieses Schicksal am morgigen Abend?

    Mal sehen. Hillary Clinton ging als haushohe Favoritin in die Vorwahlsaison, kaum jemand fand sich überhaupt bereit, gegen sie anzutreten. Neben dem Gouverneur von Maryland, Martin O'Malley, warf (neben bizarren und völlig unbekanten Narzisten) nur der 73-jährige Bernie Sanders, Senator aus Vermont, dazu bereit. Bernie ist offiziell erst seit 2015 Mitglied der demokratischen Partei, gehörte aber bereits davor der demokratischen Fraktion im Senat an und wurde im Wahlkampf von den Demokraten aus Vermont unterstützt.

    Bernie bezeichnet sich als demokratischen Sozialisten und preist gern mal die skandinavischen Länder als Vorbild für die USA; sein republikanischer Senatskollege Marco Rubio witzelte jüngst, er würde einen guten Präsidenten abgeben - von Schweden.

    Clinton und Sanders sind sich bisher im Vorwahlkampf einigermaßen respektvoll begegnet, die Unterschiede zwischen beiden sind allerdings klar: Clinton sieht das Land unter Obama (dessen Regierung sie ja als Außenministerin vier Jahre lang angehörte) auf dem richtigen Weg und verspricht, Obamas Erungenschaften zu verteidigen und auf ihnen aufzubauen. Sanders dagegen möchte einen deutlich linkeren Kurs fahren - Obamacare zum Beispiel möchte er am liebsten wieder abschaffen und durch ein Single-Payer-System nach britischem oder kanadischem Vorbild ersetzen. Hohe Priorität räumt er auch einer Reform der Wahlkampffinanzierung ein, da er Washington in den Klauen der Reichen sieht. Wie es sich für einen selbsternannten Sozialisten gehört, führt er gesellschaftliche Missstände eigentlich immer auf ökonomische Ungleichheit zurück, was gerade in den ersten Monaten seiner Kandidatur zu gewissen Reibereien mit der Schwarzenbewegung Black Lives Matter führte, die eine andauernde Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe beklagt.

    Angesichts seiner radikalen Ablehnung des Status Quo und der Fundamentalrkitik an Washington fühlt sich mancher sogar an Trump erinnert:

    Sanders and Trump differ dramatically on many issues — from immigration to climate change— but both are critical of how wealthy donors and lobbyists dominate the political process, and both favor some form of campaign finance reform. Both decry corporations moving overseas for cheap wages and to avoid American taxes. Both reject trade treaties that favor multinational corporations over workers. And both want government more, rather than less, involved in the economy.

    Sanders is a left-wing populist. He wants to defend the "collapsing middle class" against the "billionaire class" that controls the economy and politics. He is not a liberal who wants to reconcile Wall Street and Main Street, or a socialist who wants the working class to abolish capitalism.

    Trump is a right-wing populist who wants to defend the American people from rapacious CEOs and from Hispanic illegal immigrants. He is not a conventional business conservative who thinks government is the problem and who blames America’s ills on unions and Social Security.

    Both men are foes of what they describe as their party’s establishment. And both campaigns are also fundamentally about rejecting the way economic policy has been talked about in American presidential politics for decades.

    http://www.vox.com/2016/1/30/10869974/trump-sanders-economic-history

    In einem Punkt steht Sanders übrigens rechts von Clinton: Vermont hat mit die liberalsten Waffengesetze des gesamten Landes und Sanders hat sich dementsprechend in Repräsentantenhaus und Senat eher zurückgehalten, wenn es um eine Verschärfung der landesweiten Bestimmungen ging.

    Bernie spricht vor allem linke und gut gebildete Weiße an, der Zuspruch scheint umso größer, je jünger die Befragten sind. Ach ja: Die Demokraten werden wohl so oder so erneut Geschichte schreiben: Entweder wird mit Hillary die erste Frau KandidatIn einer der beiden großen Parteien oder mit Sanders der erste (wenn auch nach eigener Auskunft nicht sehr religiöse) Jude.

    Meine eigene Einstellung zu Bernie ist etwas zwiegespalten: Einerseits bringt er im Vorwahlkampf wichtige Ideen unters Volk, auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass sein radikaler Ansatz funktionieren würde: Es wäre für ihn als "Sozialisten" sicher schwerer als für Clinton, die Wahl gegen einen Republikaner zu gewinnen, und seine weitreichenden Reformen lassen sich im Rahmen des bestehenden politischen Systems wohl kaum umsetzen. Es bedurfte eines langen Gewürges, um Obamacare endlich zu verabschieden; diesen Fortschritt einkassieren zu wollen für ein (vermutlich besseres) Programm, das es nie und nimmer durch den Kongress schaffen würde, hielte ich für verantwortungslos. Bin da ganz bei Jonathan Chait, unzweifelhaft links und trotzdem auf Seiten Clintons, die auch ich wählen würde, wenn ich könnte:

    It can be rational for a party to move away from the center in order to set itself up for dramatic new policy changes; the risk the Republican Party accepted in 1980 when Ronald Reagan endorsed the radical new doctrine of supply-side economics allowed it to reshape the face of government. But it seems bizarre for Democrats to risk losing the presidency by embracing a politically radical doctrine that stands zero chance of enactment even if they win.

    Es lohnt sich übrigens, den ganzen Artikel zu lesen; Chait führt hier nämlich noch ein weiteres, recht komplexes Argument aus.

    http://nymag.com/daily/intelligencer/2016/01/case-against-bernie-sanders.html

    Clinton hat 2008 knapp verloren gegen einen allerdings ungewöhnlich charismatischen Kandidaten, der eine bemerkenswerte Koalition innerhalb der Demokraten zusammenzimmern konnte, während Clinton vor allem die Kandidatin der weißen Arbeiterklasse war. Interessante Beobachtung: Die Landesteile, in denen sie bei den Vorwahlen 2008 am besten abschnitt (ein breiter Streifen entlang der Appalachen) sind auch die Gegenden, in denen Trumps Umfragezahlen am besten sind. Die damalige Niederlage hat Hillary noch weggesteckt; würde sie jetzt gegen Sanders unterliegen, wäre das aber schon sehr bitter. Wirklich scheinen aber die wenigsten Beobachter mit einer solchen Riesenüberraschung zu rechnen; die Prognoseseite PredictWise etwa sieht die Wahrscheinlichkeit ihres Sieges bei 83%. Leichte Zweifel bleiben am ehesten aufgrund der fortlaufenden Ermittlungen zu ihrem Gebrauch eines privaten Emailsservers für vertrauliche Amtsgeschäfte, die im Moment gerade laufen. Zu schaffen macht ihr vermutlich auch, dass ihr Verhältnis zur Presse seit vielen Jahren nicht das beste ist und die Berichterstattung über sie vielleicht auch aus diesem Grund wohl negativer ausfällt als bei anderen Politikern.

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    Die nützlichen Links kopiere ich einfach mal weitgehend aus dem Zwillingsthread:

    Einen Überblick über die aktuellen Schlagzeilen bietet Political Wire:

    http://politicalwire.com/

    RealClearPolitics trägt ebenfalls Storys zum Thema zusammen:

    http://www.realclearpolitics.com/elections/2016/

    Ein klug kommentierter Überblick über die Ereignisse des Vortages findet sich hier:

    http://www.electoral-vote.com/

    Aktuelle Umfragen und einen Durchschnitt der jüngsten Erhebungen in den einzelnen Vorwahlstaaten bieten vor allem diese beiden Seiten:

    http://elections.huffingtonpost.com/pollster

    http://www.realclearpolitics.com/epolls/2016/president/us/2016_democratic_presid ential_nomination-3824.html [realclearpolitics.com]

    Die Prognoseseite 538 reichert die Umfragewerte noch mit weiteren Parametern an und prognostoziert den Ausgang der Vorwahlen in diversen Staaten:

    http://projects.fivethirtyeight.com/election-2016/primary-forecast/iowa-democrat ic/ [fivethirtyeight.com]

    Der Markt zur republikanischen Präsidentschaftskandidatur bei einer amerikanischen Wahlbörse:

    https://www.predictit.org/Browse/Category/6/US-Elections

    Und schließlich eine Seite, die aus verschiedenen Daten (Zahlen besagter Wahlbörse, Quoten von Buchmachern, Umfragewerten) eine Prognose erstellt:

    http://predictwise.com/politics/2016-president-democratic-nomination [predictwise.com]

    Viel Spaß auch hier beim Spekulieren und Diskutieren!

  • RE: Demokratische Vorwahlen 2016: Déjà-vu?

    gruener (Luddit), 01.02.2016 00:53, Antwort auf #1
    #2

    danke für deine ausführliche analyse-

    mein posting war eher provokativ zu verstehen. ich persönlich rechne auch mit einem sieg von clinton in iowa... aber eng wird es trotzdem.

  • RE: Demokratische Vorwahlen 2016: Déjà-vu?

    Wanli, 01.02.2016 01:01, Antwort auf #2
    #3
    ich persönlich rechne auch mit einem sieg von clinton in iowa... aber eng wird es trotzdem.

    Ja, das kann in Iowa knapp werden, ganz chancenlos ist Bernie da sicher nicht (und das gilt wohl erst recht für New Hampshire, wo er favorisiert sein dürfte). Mir ging es um den Gesamtsieg; dass Clinton in einigen Staaten als zweite Siegerin durchs Ziel gehen wird, nehme ich auch an.

    In der jüngsten Selzer-Umfrage liegt Clinton ja drei Punkte vorn, aber es gibt noch ordentlich Unentschiedene und der Abstand liegt innerhalb des Margin of Error der Umfrage. Zudem haben die Demokraten in Iowa ja eigentümliche Regeln: In jedem Wahllokal bekennen sich die Anwesenden zunächst zu einem Kandidaten; die Anhänger der Kandidaten, die nicht mindestens 15% der Anwesenden hinter sich haben, müssen sich umorientieren (oder gehen). Das dürfte in vielen Wahllokalen auf die wenigen O'Malley-Fans zutreffen; weiß der Geier, ob die sich eher Clinton oder Sanders anschließen.

  • RE: Demokratische Vorwahlen 2016: Déjà-vu?

    gruener (Luddit), 01.02.2016 01:06, Antwort auf #3
    #4

    die frage ist: wann? wo?

    und welche dynamik entwickelt sich, wenn sie einmal verliert?

    in NH sehe ich bernie derzeit auch vorne

  • RE: Demokratische Vorwahlen 2016: Déjà-vu?

    gruener (Luddit), 01.02.2016 01:12, Antwort auf #4
    #5

    ps:

    weißt du, morgen die wahlergebnisse zu finden sind?

  • RE: Demokratische Vorwahlen 2016: Déjà-vu?

    Wanli, 01.02.2016 01:32, Antwort auf #4
    #6

    Hillary muss natürlich hoffen, dass sie mindestens einen der beiden Staaten gewinnt (eher Iowa natürlich). Verliert sie in beiden, dann wär das in der Tat ein miserabler Start, würde jede Menge Medienberichte nach sich ziehen, die eine Wahlkampagne gar nicht gern sieht, und die Geschichte mit dem Momentum ist nicht ganz von der Hand zu weisen: John Kerry stand 2004 vor Beginn der Vorwahlen glaub ich bei etwa 4% in den Umfragen in South Carolina; nachdem er die ersten beiden Vorwahlen für sich entschieden hatte, kam er dort dann auf 30%.

    Aber Clinton hat unglaubliche Unterstützung im Parteiapparat - ich denke, selbst nach zwei Schlappen hätte sie ganz gute Chancen, sich in Nevada und South Carolina durchzusetzen.

    Die Ergebnisse der Caucuses werden überall zu finden sein und ich will sie auch gern posten, allerdings ist der Prozess ja ziemlich fehleranfällig und chaotisch; ich würde mit der Auszahlung der beiden Märkte im Zweifelsfall lieber noch etwas warten.

  • RE: Demokratische Vorwahlen 2016: Déjà-vu?

    saladin, 01.02.2016 07:16, Antwort auf #5
    #7
    Dailykos.com dürfte eine gute (Insider) Quelle für die Demokraten sein. Ansonsten von cnn bis 538 gibt es die Ergebnisse überall.
  • RE: Demokratische Vorwahlen 2016: Déjà-vu?

    drui (MdPB), 01.02.2016 09:34, Antwort auf #6
    #8

    Clinton kann sich erlauben, in beiden nahezu weißen Staaten zu verlieren, Sanders nicht.

    Ich sehe zwar eine gewisse Anti-Establishment-Stimmung auch bei den Demokraten, aber keinen vergleichbaren "Obama-Change" nach der Bush-Katastrophe. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die "Obama-Ernüchterung" bei einem dann 75-jährigen Präsident Sanders nach dessen illusorischen Versprechungen um ein Vielfaches größer wären.  Clinton hat hier einfach den Vorteil, nicht gegen einen jungen Kandidaten und gegen einen Schwarzen (oder Latino) anzutreten, nicht gegen eine Wechselstimmung nach 8 Jahren demokratischer Präsidentschaft, und sie ist organisatorisch besser vorbereitet als vor 8 Jahren.

    Clinton wäre auch die einzige Kandidat(in), die etwas Stabilität in die fast bis zur Unregierbarkeit verkommene amerikanische Politik bringen könnte, bei einem völlig destruktiven Konkress und einem gespaltenen Senat.

  • Ergebnisse

    drui (MdPB), 01.02.2016 15:09, Antwort auf #5
    #9

    weißt du, morgen die wahlergebnisse zu finden sind?

    Die sollen hier zeitnah veröffentlicht werden:

    Elefant:

    https://www.iagopcaucuses.com/

    Esel:

    https://www.idpcaucuses.com/

  • RE: Ergebnisse

    gruener (Luddit), 01.02.2016 20:32, Antwort auf #9
    #10

    danke für die links.

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