"Ich sitze am Ufer des Flusses und warte geduldig, dass die Leichen meiner Feinde vorbeitreiben." (Mao)
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Ich hatte es bereits vor einiger Zeit "angedroht":
Ich öffne meinen "Giftschrank" und entnehme selbigem diverse Texte aus dem ersten Jahrzehnt des Jahrtausends Längst verschollene Pamphlete, Reden und Essays, die alle aus einer einzigen Feder stammen.Jener des aktuellen grünen Bundeswirtschaftsministers.
Es soll nach der Wahl niemand behaupten können, er oder sie hätte nicht gewusst, wer sich grade anschickt, Bundeskanzler dieser deutschen Republik zu werden. "Den Bach rauf"? Von wegen. - "Fluss abwärts" wird es gehen...
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To begin at the beginning....
Wir schreiben das Jahr 2004.
Im grünen Landesverband Schleswig-Holstein ist ein neuer Parteisprecher gewählt worden. Im hohen Norden der Republik steht zudem - nach neun Jahren Rot-Grün - eine wichtige Landtagswahl ins Haus. Im Bund schwächelt die ebenfalls rot-grüne Regierung um Gerhard Schröder und Joschka Fischer und steuert auf ihr Ende zu.
In Kiel hingegen versucht parallel dazu, ein frisch gewählter grüner Parteivorsitzender erste Lorbeeren zu verdienen und zu ernten. Davon handelt der erste Text, im Original um 2008 entstanden. - Ich bin so frei, diesen in ein fiktives Umfeld zu stellen, damit er leichter lesbar ist.
Die handelnden Personen, zum Teil fiktiv:
Kursiv gesetzte Textpassagen sind ausnahmslos Zitate. Sie stammen zumeist aus der Feder des Herrn H.
Der Text beginnt mit dem Versuch, den neuen grünen Landessprecher politisch einzuordnen. Die Einleitung greift auf Textzitate zurück, die in späteren Posts noch ausführlich und/oder in Gänze dargeboten werden.
Ich bitte zu beachten, dass die angeführten Links nicht mehr aktiv sind. Sie könnten aber hilfreich sein, um Kopien der Originale im Webarchiv aufzufinden.
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In diesem Sinne: Macht es euch bequem, lasst euch nieder und genießt. Vor allem aber: Willkommen in der wundersamen Parallelwelt des Herrn H.
Somit: Gebt acht! Und: Stay sane!
In H., im nichtpolitischen Leben Autor von Kinder- und Sachbüchern, fand die grüne Basis in Schleswig-Holstein eine neue integrative Leitfigur. Erst Mitte Dreißig pflegte er sorgfältig den Flair eines „everybody’s darling“ und gefiel gleichsam der parlamentarischen Parteielite, da er ihr nicht widersprach, sondern brav nach dem Munde redete. Wie anders gaben sich seine Vorgänger: Oft aus dem linken Spektrum der Partei kommend, erinnerten sie Minister wie Fraktion nicht selten an die Einhaltung grüner Programmatik oder pochten auf eine Egalität zwischen Vorstand und Fraktion. Sie waren jahrelang der Klotz am Bein der grünen Parlamentarier und legten gleichsam gerne ihre Finger in grüne Wunden. Dem Neuen jedoch mangelte es nicht nur an einem linken Background, sondern auch an Erfahrung. Eine politisch formbare Masse, der sich die grünen Landeshäusler gerne annahmen.
H. stand für einen neuen Politikstil innerhalb der Grünen. Einer Mischung aus oberflächlicher Kapitalismuskritik, gepaart mit liberalen Familien- wie Gesellschaftswerten und beseelt davon, alte politische Gegensätze von links bis rechts zu überwinden. Nicht Markt, nicht Staat, nicht Volk, sondern Teilhabe umschrieb sein politisches Credo. Nicht links, nicht rechts, er glaubte sich wie einst Petra Kelly vorne, ohne sich dabei wirklich inhaltlich festzulegen: Nicht auffallen, dann kann man auch nicht reinfallen.
Als Schriftsteller neigte er zu philosophischen Abhandlungen. Sein Politikstil ging einher mit einem neuen Sprach- wie Schreibstil, wohlfeil ausformuliert, Detail verliebt und fast immer ein wenig theoretisch abgehoben. Hier präsentierte sich ein pseudointellektueller Lebemann, der gerne auf historische Vorbilder zurückblickte. War es, um seine eigenen Thesen zu belegen oder um sich von diesen Idealen abzugrenzen. Mit niemand Geringeren als John F. Kennedy leitete er seine erste Vorstellungsrede ein. Vielleicht hätte er dessen Charisma gerne auf die eigene Person übertragen, als quasi neuer JFK der Grünen, jedoch fehlte ihm für solche Augenhöhe (nicht nur) die Jackie an seiner Seite. Sowie eine Norma Jeane als Geliebte.
Dennoch erkannten selbst Kritiker gewisse Parallelen zwischen den beiden Persönlichkeiten, und war es auch nur der egozentrische Hang, sich zu weitaus Höherem berufen oder von Visionen getrieben zu fühlen. Doch während Kennedy für jedermann verständliche Botschaften verkündete – „Fragt nicht, was der Staat für Euch tun kann, sondern fragt, was ihr für den Staat tun könnt“ – lasen sich die Verkündungen in den Reden des neuen grünen Vordenkers mitunter schon etwas komplizierter - „Lebenszufriedenheit als Kriterium muss das ökonomische Mantra im Gerechtigkeitsdiskurs brechen.“:
Die Zeit der Volksparteien geht zu Ende, weil die Idee des Volkes an sein Ende kommt. Und das ist ein Grund zur Hoffnung und Freude. Eigenes, das aus sich selbst heraus bestehen soll, eine organische Vorstellung, die alle Widersprüche aufsaugt, das hat seine Zeit gehabt und ist vorbei. An Stelle der Volkspartei muss die Konzeptpartei treten, die Inhalte nicht von der Idee der Übereinkunft der meisten her denkt, des kleinsten gemeinsamen Nenners, sondern der richtigen Lösung, des richtigen Konzepts – und dafür dann Mehrheiten organisiert.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
wir müssen uns entscheiden, ob ein gemeinsamer Ideenhorizont der verschiedenen politischen Antworten noch zeitgemäß ist oder ob es richtiger ist, sozusagen einen bunten Strauß politischer Antworten bereit zu halten, der aber nicht notwendig gebunden ist, so dass man immer mal wieder eine Blume rausziehen kann. Ich glaube, der Strauß zerfällt uns in der Hand, wenn wir ihn nicht binden. Es mag altmodisch sein, aber ich bekenne mich zu der Idee politischer Ideen.
(zitiert nach: http://www.robert-habeck.de/Konzeptpartei-statt-Volksparte.27488.0.html )
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Bei der Erstellung des grünen Landtagswahlprogramms 2005 gelang H. sein erstes politisches Meisterstück. Vom Wunsch beflügelt, alles echter und anders machen zu wollen, übertraf sich der selbst ernannte Theodor Storm der Nordgrünen: Warum benötigte ein politisches Programm eigentlich eine Präambel? fragte er sich. So’n Tüünkram! Aber diese gleich ganz weglassen? Das ging auch nicht.
Aus der Not wurde so eine „Statt einer Prämbel“-Tugend geboren. Danach gab die programmliche Einleitung „15 Stimmen und ihre Erfahrungen und Wünsche“ wieder.
15 Menschen, die Natur erleben wollen oder sich Gedanken über ihre Bildungschancen machen, die sich für nachhaltiges Wirtschaften oder soziale Gerechtigkeit einsetzen, denen gesellschaftliche Beteiligung und Toleranz wichtig sind oder mit Erneuerbaren Energien das Klima schützen und gleichzeitig Geld verdienen möchten.
Zum Beispiel die „Stimme“ von Lisa Seel (11), eine Neun-mal-Kluge Schülerin, die in der grünen Grundschule einem völlig überforderten Mitschüler mit der Exponentialrechnung bereits die höhere Mathematik der Sekundarstufe erläutern durfte:
Die beste Mathearbeit habe ich geschrieben, nachdem ich meinem Freund Marcel erklärt habe, wie Exponentialrechnung funktioniert. Ich finde es schlecht, dass er auf die Hauptschule kommt und ich auf das Gymnasium. Wir haben Mathe beide besser verstanden, wenn ich es ihm erklärt habe. Wer soll ihm jetzt helfen?
…der animalische Urlaubsbericht von Franziska Feldlang (7) aus Bottrop:
Wir haben im Urlaub Schweinswale gesehen und Robben und einen Seeadler. Ganz nah. Das glaubt mir in der Klasse keiner.
…oder der lang ersehnte Gameboy von Niklas, 5 Jahre, der bereits im Vorschulalter den Satzbau der Primaner übte, in der feinen Wahlwahl aber noch das eine oder andere zu wünschen übrig ließ:
Ich finde es toll im Waldkindergarten. Da sind wir immer draußen und toben durch die Bäume. Neulich waren wir den ganzen Tag im Wald, obwohl es geregnet hat. Und morgen fahren wir mit einem richtigen Bus an den Strand und Frau Eichhorn liest uns ganz viele Geschichten vor und wir haben eine Kuschelecke unter einem ganz großen Baum und wenn ich komme, warten schon Felix, Mareike, Julia und Oliver auf mich. Wenn ich nach Hause komme, darf ich fernsehen. Außerdem hat Mama mir einen Gameboy gekauft, damit sie ihre Ruhe hat, so einen, wie den von Justus, aber der ist schon sieben und darf erst nach den Hausaufgaben damit spielen.
Die Klagen einer jungen Mutter, Ute Jerske (28), Bürokauffrau, und ihr täglicher Kampf mit den drei Ks – Karriere, Kinder, Kopf - kamen ebenfalls nicht zu kurz:
Ich möchte mich nicht zwischen Karriere und Kindern entscheiden müssen. Ich will beides, Familie und Beruf. Ich will eine Gesellschaft, die mit den Kindern lebt. Ich will Glück! Meine Tochter Sylvia ist mein ein und alles. Und trotzdem fällt jeder Mutter irgendwann einmal die Decke auf den Kopf. Aber nicht jede merkt es.
…auch nicht der Altersruhesitz des Karl-Heinz Hysmanns (68), Rentner, der vor den überhöhten mediterranen Immobilienpreisen ins kalte Land zwischen Nord- und Ostsee flüchten musste:
Ich hatte immer einen Traum: Als Rentner renoviere ich eine alte Mühle in Griechenland und erwirtschafte alles, was man zum Leben braucht, selbst. Tomaten, Orangen, Thymian, Oregano, eigene Hühner, eigene Kaninchen und eine Ziege und natürlich eine Solaranlage auf dem Dach und einen Brunnen mit Trinkwasser. Aber ihr habt ja keine Ahnung, was eine verfallene Mühle in Griechenland kostet. Statt nach Kreta bin ich nach Schleswig-Holstein gezogen. Hier gibt es gesunde Nahrungsmittel und das Land ist auf dem besten Weg, sich energiemäßig selbst zu versorgen, fast genau so, wie ich mir das immer gewünscht habe. Nur am Wetter müssen die noch feilen!
Selbst Arbeitnehmer durften ihre Erfahrungen mit dem grünen Schleswig-Holstein zu Protokoll geben, wie Gerhard Jepsen, (46), Informatiker,- denn Kopf wählt grün und damit den Bauch weg…:
Jeden Tag bin ich von Lübeck nach Hamburg gependelt. Man sagt zwar, Autos fördern die individuelle Freiheit und Mobilität, und das stimmt ja auch. Aber wenn man jeden Morgen und jeden Abend im Stau steht, sieht das schon anders aus. Ich bezweifle, dass der Ausbau der Autobahn die richtige Lösung ist. Da wird zwar breitspurig geplant, aber schmalspurig gedacht. Ruckzuck ist die doch auch wieder verstopft. Seit zwei Jahren nehme ich den Zug, ich fahre mit dem Fahrrad direkt zum Bahnhof und lese im Zug Zeitung. Mein Bürobauch ist fast weg und besser informiert bin ich auch. Auch politisch. Mehr davon!
…am laufenden Band Seemannsgarn spinnen, so Gerhard Klein, Reeder (45) und dabei die Grenzen, im H.-Deutsch die Brückenköpfe des guten Geschmacks herausfordern…:
Das verwirrende an einer Seekarte ist, dass das Land ein weißer Fleck ist, während das Meer, das im Autoatlas nur blau ist, voller Wege ist. Wenn man kreativ denken will, muss man sich eine Seekarte vorstellen: Grenzen sind keine Trennlinien, sondern Brücken, Meere sind keine Hindernisse, sondern Herausforderungen, Hindernisse müssen bejaht werden und werden zu Chancen. Die neue Ostsee ist nicht das Ende Europas, sondern eines seiner neuen Zentren und Schleswig-Holstein nicht der Rand Deutschlands, sondern sein Brückenkopf. Davon bin ich überzeugt. Diese Chance nehme ich als meine Herausforderung.
…oder menschliche Dramen zur Schau stellen, wie Gina Händler (42), Rechtsanwältin; das grüne Gutmenschentum kannte mit Sicherheit und Freiheit keine multikulturelle Gnade:
Mein Mann ist Armenier. An unserem früheren Wohnort war das gleichbedeutend mit Terrorist. Ständig stand ein weißer Passat vor unserer Haustür. Und wenn seine Familie zu Besuch kam, knackte es in unserer Telefonleitung. Klar bin ich dafür, dass das Leben sicher ist. Aber deshalb darf man doch nicht alle Ausländer als potenzielle Täter behandeln. Deshalb sind wir nach Schleswig-Holstein gezogen. Wir hatten gehört, dass hier eine Politik verfolgt wird, die Sicherheit und Freiheit nicht gegeneinander ausspielt. Mein Mann hat eine neue Anstellung gefunden. Er ist jetzt Hirnchirurg in Kiel. (off-topic Anmerkung: Welch vernichtendes Urteil über das zu damaliger Zeit rot-grün regierte Deutschland!)
Auch eine Stimme, die sich auf plattdeutsch äußerte, und eine weitere, die sich direkt an die Angehörigen der im Lande lebenden Minderheit wandte, wurden schriftlich gehört. Lone Kierkegaard (43) – sic! - stellte auf Dänisch unter anderem in Frage, ob es heute immer noch angebracht wäre, die Zugehörigkeit zur Minderheit zur Grundlage der eigenen Wahlentscheidung zu machen.
(Programmauszüge zitiert nach: http://www.sh.gruene-partei.de/cms/archiv/dokbin/56/56242.stadt_land_gruen_landt agswahlprogramm_20.pdf )
Insgesamt kündete die Präambel von einer runden, schönen, heilen, neuen, ja bereits ergrünenden Welt, die leider einen klitzekleinen Schönheitsfehler aufwies: Alle 15 Personen waren fiktiv, die schwarz auf weiß ins Programm gebannten Zeugen der vermeintlichen grünen Erfolge samt und sonders erfunden. Die 15 „Stimmen“ entsprangen nämlich der phantasiereichen lyrischen Feder des grünen Landesvorsitzenden.
Die öffentliche Entdeckung der populistischen Schummelei platzte mitten in die heiße Wahlkampfphase und bildete ein gefundenes Fressen für die konkurrierenden Parteien, aber auch für die schleswig-holsteinische Landespresse.
Von „fiktiven grünen Wahlkämpfern“ war die Rede, von "Lug und Trug als grünes Stilmittel" und vom „grünen Lügenbuch“, ganz zu schweigen von einer gelungenen Extra 3-Realsatire auf N 3, in welcher der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki als norddeutscher Literaturpapst debütierte. Und schlussendlich, als die Verantwortlichen zu Kreuze krochen, von einer öffentlichen „Fehler-Beichte“.
Fehler-Beichte: Grüne leisten Abbitte
„Missverständnis - Fiktion war nur gut gemeint“
Es war ein sichtlich geknickt wirkender Robert H., der da gestern vor die Presse marschierte, um Abbitte zu tun für einen grünen Fehltritt. „Missverständlich formuliert“ sei das Wahlprogramm seiner Partei dort, wo mit fiktiven Aussagen nicht existierender Menschen gearbeitet werde, gestand der Vorstandssprecher der Grünen ohne Umschweife.
Die politische Konkurrenz jedenfalls nahm die grüne Steilvorlage im Landtagswahlkampf dankbar auf. Auch nachdem H. die „Fahrlässigkeit“ seiner Programmkommission öffentlich gebeichtet hatte, ließ die Union nicht locker: „Wenn schon die Einleitung des grünen Wahlprogramms gefälscht wurde, fragt man sich, was am grünen Wahlprogramm überhaupt wahr ist“, polterte CDU-Wahlkampfkoordinator Jörg Max Fröhlich.
Dabei sei alles wirklich nur gut gemeint gewesen, versicherten H. und der grüne Landtagsfraktionschef Karl-Martin Hentschel. Von der Idee, die Programmsprache mit der gewählten „Kunstform“ aus dem üblichen „Polit-Jargon“ herauszuholen, seien „alle begeistert“ gewesen, berichtete Hentschel.
Und so texteten die Grünen 15 „Stimmen“ von 15 „Menschen“, denen sie sogar Namen, Alter und Berufe gaben. Den Eindruck, dass hier real existierende Personen zitiert würden, habe man wirklich nicht erwecken wollen, versicherte H. Freilich räumte der Parteichef auch ein, dass Missverständnisse möglich seien. Die sollen nun ausgeräumt werden. Die Wahlkampfbroschüren bekommen einen entsprechenden Einlegezettel. Auf der Internetseite der Grünen werden die „15 fiktiven Figuren“ seit gestern als „Querschnitt von Zuschriften und E-Mails zur Programmdebatte“ ausgewiesen.
Empört zeigte sich FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki. „Wenn Lügen zum Stilmittel in der Politik werden, dann sind die Grenzen definitiv überschritten.“ Kopfschütteln herrschte derweil beim sozialdemokratischen Koalitionspartner: „Das Erfinden von Personen sollte man Schriftstellern überlassen“, dozierte SPD-Fraktionschef Lothar Hay. Übrigens: Im Hauptberuf ist der Grünen-Vorstandssprecher Heien tatsächlich Schriftsteller.
(zitiert nach: http://epaper.shz.de/shz/2005/01/25/hn/3/art-0038.html? )
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Nicht jeder teilte die zitierte „Begeisterung“. Selbst der Landesgeschäftsführer Bjarne wurde des Kämpfens zunehmend müde und schmiss seinen gut bezahlten Job als Landesgeschäftsführer hin. Er hielt es einfach nicht mehr aus. Den nächsten Wahlkampf wollte er noch zu Ende bringen, aber danach wäre endgültig Feierabend.
Fernmündlich unternahm dieses Mal Dany einen letzten Versuch, um den Freund zum Durchhalten zu überreden: „Unter lauter Blinden muss es doch mindestens einen geben, der des Sehens mächtig ist.“
„Dany, der Nachteil des Nichterblindeten ist, dass er den gequirlten wie gesammelten Bullshit tagein tagaus sehenden Auges ertragen muss.“
„Schließ doch einfach ab und zu deine Augen!“
„Das liefe aber darauf hinaus, dass auch ich mit permanenter Blindheit geschlagen wäre.“
„So schlimm?“
„Jo! Möchtest du ein aktuelles Beispiel hören? … Eine Pressemitteilung, die ich heute noch rausschicken werde. Zu allem Übel befindet sich unten auf der Erklärung mein guter Name – als presserechtlich Verantwortlicher. … Ich höre schon den süffisanten Tonfall in den Stimmen der Landeshauskorrespondenten, allen voran der von dir so geschätzte Carsten K.: ‚Wir hätten da noch eine winzige Nachfrage zu ihrer Mitteilung zum Thema: Grüne Kulturpolitik gegen eine Politik der Kulturlosigkeit.’ Das ist übrigens die Überschrift des heutigen Dramas.“
„Na, dann schieß mal los…“
„Zunächst der harmlose Beginn: Die politische Diskussion - auch in Schleswig-Holstein - konzentriert sich auf Zahlen und ökonomische Fragen. Zu schnell verliert sie dabei das Leben der Menschen aus dem Blick. Dringend notwendig ist, mit der Kultur des "immer schneller", "immer mehr", "immer reicher" zu brechen und den Menschen Freiräume zur Entfaltung kreativer Potenziale einzuräumen.“
„Klingt ja noch ganz vernünftig. H. hat doch nicht etwa Kreide gefressen?“
„Keine voreiligen Schlüsse bitte! Das bleibt nämlich nicht so: Talente zu fördern und Toleranz zu leben, bedeutet, die starren Grenzen zwischen Institutionen aufzubrechen - das ist das Gegenteil von Hochschulrat, Profiloberstufe, konventioneller Verkehrspolitik und pompösen Empfängen.“
„Hat man etwa kürzlich den großen grünen Landesvorsitzenden von einem pompösen Empfang ausgeschlossen?“
„Was weiß ich? Auf dem letzten sommerlichen Gesprächsabend der Landesmedienanstalt ULR war er, oder?“
„Leider! … Doch worin besteht die logische, sich sofort erschließende Verbindung zwischen Kultur- und Verkehrspolitik?“
„Frag mich doch nicht! … Vielleicht hörte er während des Niederschreibens ja Kraftwerk und Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn!“
„Als Grüner? Schande über ihn! Aber womöglich befürchtete er einen kulturellen Koitus Interruptus.“
„Woran du immer gleich denkst! … Weiter: Ein gesundes, lebensfreundliches, regional-typisches Lebensumfeld zu schaffen und zu erhalten, bedeutet die "weichen" Politikfelder - Umweltpolitik, Infrastrukturpolitik, Verbraucherschutzpolitik, Landschaftsschutz - als neue Bausteine für eine höhere Lebensqualität zu begreifen.“
„Halt! Ging es nicht eigentlich um Kulturpolitik? Und um die Gründung einer LAG Kultur?"
„Das glaubst aber auch nur du! … Andere Kulturen müssen als Chance begriffen und integriert werden, statt deren Assimilation zu betreiben.
„Moment, Moment. Nicht so schnell. … Welche anderen Kulturen? Doch nicht etwa die Kulturen des "immer schneller", "immer mehr", "immer reicher“? Die wollte er eingangs noch brechen.“
„Was weiß ich? … Ich muss allerdings konstatieren, dass hier alle unterschiedlichen, alle erdenkbaren, alle möglichen wie unmöglichen Kulturbegriffe in einen einzigen Topf geschmissen werden.“
„Und final werden die Begriffe geschüttelt oder gerührt?“
„Seh ich aus, als ob mich das interessiert?“
„Ja, durchaus.“
„Okay, dann vergiss bitte die H.-Olive in diesem Kulturmartini nicht: bitter, überreif und dabei äußerst geschmacklos. … Aber weiter, meine Lieblingspassage war noch gar nicht dran: Stadt- und Raumentwicklungen sollten sich nicht nur auf Betonbauten konzentrieren, sondern kreative Laboratorien und Freiräume für Menschen schaffen. Absatz. Eine Verflüssigung der Grenze zwischen Erwerbs- und ehrenamtlicher Arbeit würde der Vielzahl der Tätigkeiten und Begabungen von Menschen gerecht.
„Hilfe! … Das glaub ich einfach nicht! … Welche Drogen hatte er bloß eingeworfen, als er dies formulierte?“
„..wieder einmal, in Arbeitnehmerfragen, die FDP rechts überholt!“
„Oder anders formuliert: ‚Dasein entwirft als Verstehen sein Sein auf Möglichkeiten.’“
„Wie bitte?“
„Martin Heidegger - Sein und Zeit. Philosophische Hermeneutik oder hermeneutische Phänomenologie – je nachdem, wie du es gerne hättest.“
„Klingt ein wenig nach Frankfurter Schule.“
„Knapp daneben, Bjarne … ist auch vorbei! Adorno und Horkheimer hätten sich diesen Vergleich bestimmt verboten. … Ich finde trotzdem, Heidegger bringt H. auf den Punkt, man könnte fast meinen, sie seien seelenverwandt: ‚Dieses verstehende Sein zu Möglichkeiten ist selbst durch den Rückschlag dieser als erschlossener in das Dasein ein Seinkönnen. Das Entwerfen des Verstehens hat die eigene Möglichkeit, sich auszubilden. Die Ausbildung des Verstehens nennen wir Auslegung. In ihr eignet sich das Verstehen sein Verstandenes verstehend zu. In der Auslegung wird das Verstehen nicht etwas anderes, sondern es selbst...’“
„Ne, lass mal stecken! … Lieber weiter im Text, denn das Ende ist nahe: Die öffentlichen Mittel sollten umgeschichtet werden und gezielt für eine Förderung von neuen Medien und innovativen Entwicklungen eingesetzt werden.“
„Was? Gleich alle öffentlichen Mittel? Oder darf’s zu Beginn auch noch etwas mehr sein?“
„Jo, mit Almosen geben wir uns doch nicht ab. … Nun der Schluss: Kultur wird von den Regierungschefs bundesweit als Chefsache definiert und den Staatskanzleien subsumiert. Das ist eine Missachtung, Verkennung und Korrumpierung des Grundcharakters von Kultur. Sie ist nicht Chefsache, sondern ihre Infragestellung.
„Ich frage jetzt lieber nicht, auf was sich das ‚Sie’ im letzten Satz bezieht. Etwa auf Claudia Roth?“
„Besser wäre es! … Verstehst du jetzt, Dany, warum ich hier dringend raus muss?“
„JA!“
Das letzte Wort schrie er förmlich ins Telefon...
(Zitiert nach PM Nr.001.07 vom 26.01.2007 der Grünen Schleswig-Holstein http://www.sh.gruene.de/cms/default/dok/166/166460.gruene_kulturpolitik_gegen_ei ne_politik.htm
Wahlfieber, originally a platform from the German-speaking world, offers (user-based) forecasts on elections worldwide - using political prediction markets without applying any algorythm.
Germany / Austria / Switzerland
All national and state elections as well as selected local, mayoral and party elections
Europe
Almost all national elections as well as selected presidential, regional and local elections and votes.
USA
All presidential, senatorial and house elections (including mid-term and most presidential primaries/caucusses) as well as important special and state elections.
UK
All national and state elections as well as important special, local and mayoral elections and votes.
Worldwide
National elections - including Australia, Canada, Israel, Japan, New Zealand, etc.
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